Als Verena in Solothurn eintraf, war die Schlacht längst vorbei. Die Soldaten der thebäischen Legion, in welche sie als junges Mädchen eingetreten war, sind Opfer einer römischen Christenverfolgung geworden. Von der einst stolzen Legion sind nur noch ihre sterblichen Überreste übrig. Verena hilft bei der Bergung und lebt fortan in einer Höhle, von wo aus sie Kranke und Todgeweihte pflegt. Sie hinterlässt einen bleibenden Eindruck; aus Verena von Theben wird bald die Heilige Verena. So in etwa lautet die Erzählung rund um die Frau, die der rund 2 Kilometer langen Schlucht zwischen Solothurn und Rüttenen den Namen leiht. Eine Klasse der Kantonsschule Solothurn steht kurz nach Mittag vor einem Restaurant, direkt am Eingang der Schlucht. Es ist der Startpunkt eines interreligiösen Postenwegs, der heute das erste Mal begangen wird. Hohe Baumkronen und steile Felswände schaffen an dem Spätsommertag eine eindrückliche Szenerie, das Plätschern des Verenabachs sorgt für ein wenig Hintergrundmusik. Mit dabei ist auch Julia Vitelli. Momentan noch als Praktikantin im Amt für soziale Sicherheit angestellt, übernimmt sie ab November ihre neue Arbeit als Fachexpertin für Religionsfragen und interreligiösen Dialog in der Fachstelle Integration. "Vom Postenweg habe ich bereits am ersten Tag meines Praktikums gehört", sagt die Theologin. Als Vorbereitung für ihre neue Stelle begleitet sie deshalb heute die Schulklasse auf der Erstbegehung. Der Postenweg in der Verenaschlucht findet im Rahmen des Projekts "Dialogue en Route" statt, einer Initiative von IRAS COTIS, der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz. Das Projekt wurde 2017 lanciert, heute sind schweizweit bereits 21 Wegrouten realisiert. Sie sollen eindrucksvolle Kulturräume und Religionslandschaften erfahrbar machen – und so den interreligiösen Dialog fördern. Das Angebot richtet sich an alle Interessierten, legt aber einen besonderen Fokus auf Schulklassen. Zusätzlich zu den Wegrouten gibt es eine Vielzahl an religiösen Stätten mit unterschiedlichen Angeboten. Etwa der thai-buddhistische Tempel in Gretzenbach. Dort können Gäste zum Beispiel lernen, wie man aus Obst und Gemüse kleine Kunstwerke zaubert. Aber zurück auf den Postenweg. Inzwischen ist die Gruppe bei der Einsiedelei Sankt Verena angekommen, am anderen Ende der Schlucht. Aus Rücksicht auf den dort beheimateten Einsiedler werden nur vier bis sechs Führungen im Jahr durchgeführt. In Dreier-Gruppen diskutieren die Schüler*innen darüber, wie der Ort auf sie wirkt. Die junge Frau, die als Guide die Klasse begleitet, moderiert die angeregte Diskussion. Anstatt Frontalunterricht stehen hier die eigenen Erfahrungen und der Dialog im Zentrum. Julia Vitelli hört interessiert zu. Was kann ein solcher Postenweg bewirken? "Religion ist ein wichtiger Aspekt von Integration", meint Vitelli, sichtlich in ihrem Element. "Ein Dialog verändert immer Sprecherin und Zuhörer zugleich." Die interaktive, aber einfache Art der Wissensvermittlung durch einen Postenweg helfe ausserdem, dass die Schüler*innen sich für interreligiöse und interkulturelle Themen interessierten. "Manchmal müssen wir Orte für sich selber sprechen lassen." Über die ganze Route tragen die Teilnehmer*innen einen Krug mit sich, randvoll gefüllt mit Wasser. Ein Zeichen der Entschleunigung. Aber auch ein Wink in Richtung der Heiligen Verena. In Zurzach wurde sie einst von einem neidischen Knecht beschuldigt, Wein für die Armen zu stehlen. Als der Pfarrer sie mit einem vollen Krug erwischte, verwandelte sich der Wein in Wasser. So zumindest will es die Legende. Historisch sind diese Erzählungen umstritten. Wie der Postenweg aber zeigt, faszinieren sie bis heute. Weitere Informationen zum Projekt "Dialogue en Route" finden Sie >hier. |