Hinter der Tür raschelt ein Schlüsselbund. Zuerst leise, dann hektischer und immer lauter. "Ich habe den Schlüssel verlegt, entschuldigen Sie, ich komme gleich!", brummt es mehrmals hinter der Türe hervor. Dann, endlich, öffnet sie sich - und reinspaziert in die Kinderarztpraxis von Thomas Bamberger. Seit 1984 führt er diese in Grenchen; die mit Kinderzeichnungen bepflasterten Wände zeugen von zufriedenen Patient*innen. Ansonsten ist die Praxis leer, Donnerstagnachmittag ist sie eigentlich geschlossen. Wo wir das Gespräch führen sollen? "Da hinten links, aber warten sie noch kurz im Wartezimmer". Klar, auch der Schreiberling muss sich an den Ablauf einer Kinderarztpraxis halten und setzt sich zwischen Zeichenheften und Plüschtieren auf den viel zu kleinen Stuhl. Neben seiner Haupttätigkeit als einer von zwei Kinderärzten in Grenchen war Thomas Bamberger bis vor kurzem der Schularzt der Gemeinde. Zudem betreute er die vier Klassen der bernischen Nachbarsgemeinde Leuzingen sowie das sonderpädagogische Zentrum Bachtelen. Woher nimmt ein Mensch die Zeit dafür? "Früher haben wir auch mal 120 Stunden in der Woche gearbeitet, wenn es sein musste", antwortet Bamberger mit wacher Stimme. Kaum einer weiss also mehr über den schulärztlichen Dienst im Kanton Solothurn. Als er 1989 ins Amt gewählt wurde, war der Schularzt noch eine Art Hochseefischer, der mit seinem Netz allerlei Krankheiten in der Masse der Schüler*innen einfangen sollte. "Damals haben wir die Klassen in Reihen aufgestellt und so untersucht. Das war ineffizient und aufwendig", erinnert sich Bamberger. Das änderte sich 1998, als der Kanton das neue schulmedizinische Konzept aufgleiste. Die Idee dahinter: Während für individualmedizinische Anliegen, wie etwa die Behandlung einer Grippe, neu der oder die Kinderärzt*in zuständig ist, sorgen sich die Schulärzt*innen um sozialmedizinische Anliegen, etwa Gesundheitserziehung und Beratungen. Der schulärztliche Dienst ist dabei ein rein kommunales Leistungsfeld. Eine sinnvolle Aufteilung, ist Bamberger überzeugt, schliesslich würden Kinderärzt*innen die Kinder von der Wiege bis ins Erwachsenenalter begleiten. "Sie kennen die Patient*innen am besten und wissen, worauf zu achten ist". Als Schularzt sei er besonders für Notfälle an den Schulen, Lehrerschulungen und die Kontrolle des Gesundheitszustands der Kinder verantwortlich gewesen, erklärt Bamberger weiter. So habe er etwa jedes Jahr die Impfausweise aller Kinder eingefordert und systematisch dokumentiert. "Wir können so viel effizienter Versorgungslücken bei Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen entdecken". Zur Illustration holt er aus einem dickbepackten Ordner drei farbige Säulendiagramme hervor. Darauf abgebildet sind die Durchimpfungsraten aller Grenchner Grundschüler*innen. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: "Wir haben eine höhere Durchimpfungsrate als der Schweizer Durchschnitt", sagt der 67-Jährige stolz. "In meiner ganzen Karriere habe ich überhaupt erst einen Masernfall erlebt – und das Kind kam vom Bucheggberg!", fügt er schmunzelnd an. Damit Grenchen auch weiterhin so gesund bleibt, braucht es jetzt aber einen neuen Schularzt; seit seinem Rücktritt am 31. Juli 2019 ist die Stelle vakant. "Natürlich ist die Aufgabe nicht sonderlich gut bezahlt", beginnt Bamberger vorsichtig. "Aber wie jeder Job ist auch der Job des Kinderarztes neben viel Befriedigendem in erster Linie Routine: Schnupfen, Halsweh, Brechen, Schnupfen, Halsweh, Brechen". Das Amt des Schularztes sei somit ein wohltuender Ausbruch aus der Alltagsroutine und ein sehr wertvoller Beitrag zur Volksgesundheit. Diesen Beitrag hat er die vergangenen 30 Jahre geleistet. Zum Abschied zeigt er noch Ferienfotos von einer 4 wöchigen USA-Reise, die mit einer Motorradfahrt von den Black Hills in South Dakota, um die Great Lakes, über Kanada in Boston endete – und macht so die Frage zu den Plänen nach der Pensionierung überflüssig. |