"Unsere Stürmer verdienen ihr Geld auch mit ihren Beinen" steht auf einem der Plakate, die das Sitzungszimmer der Fachstelle für Sexarbeit Lysistrada dekorieren. Das Plakat ist wie ein Fussballtrikot gestaltet und die Botschaft ist klar: Sexarbeit ist Arbeit, nicht mehr und nicht weniger. Durch das Fenster dröhnt dumpf der Durchgangsverkehr, während Melanie Muñoz Kaffee und Kekse auftischt. Die Sozialarbeiterin ist die Fachstellenleiterin und erst seit Kurzem zurück von einem sechsmonatigen Sabbatical. Wie derzeit jedes Gespräch, beginnt auch dieses mit einer Frage zur Corona-Pandemie. Sie habe ihre Arbeit knapp eine Woche vor dem Lockdown wieder aufgenommen. "Als der Bundesrat dann den Lockdown verhängte, mussten wir zuerst einmal eine Bestandsaufnahme machen: Wer arbeitet im Kanton? Wer braucht Unterstützung?" Wichtige Fragen, denn: Sexarbeit ist seit dem 16. März, und auch nach den Lockerungen vom 11. Mai, wegen des Ansteckungsrisikos untersagt. Für die Sexarbeiter*innen, mit denen Melanie Muñoz arbeitet, sind die Massnahmen einschneidend. "Viele sind verunsichert, was die ganze Situation für sie bedeutet." Das habe auch mit den zum Teil komplizierten Aufenthaltssituationen der Frauen* zu tun. "Sie können ihre Arbeit nicht ausführen, gleichzeitig aber auch nicht zu ihren Familien in ihre Heimatländer zurück. Das ist sehr belastend." Lysistrada versucht hier Abhilfe zu verschaffen: Die Fachstelle unterstützt die Frauen* bei Anträgen an die Arbeitslosenkasse und bei den Sozialämtern sowie mit Essenspaketen und Notzahlungen, die durch Spendengelder finanziert werden. "Einige Sozialdienste kommen uns da sehr entgegen und helfen unkompliziert." Der Name der Fachstelle - Lysistrada - ist eine Anlehnung an die antike Komödie «Lysistrata»: Um einen 20-jährigen Krieg zu beenden, verweigern die Frauen von Athen und Sparta den Männern den Beischlaf. Der Krieg wird kurz darauf beendet - der friedliche Streik erreicht sein Ziel. Natürlich sei die Geschichte auch problematisch, weil hier Sexualität mit Sexarbeit gleichgesetzt würde. "Aber es zeigt schön auf, dass Sexarbeit eigentlich systemrelevant ist", meint Muñoz. Die Antike ist längst vorbei, als 1994 die Gassenarbeit in Olten erstmals mit einem Bus am Strassenstrich aufkreuzt und die Sexarbeiter*innen dort mit Kondomen, Verpflegung und Informationen zu gesundheitlichen und arbeitstechnischen Fragen versorgt. Im Jahr 2000 übernimmt der "Verein Frauenbus Lysistrada“ das Angebot. "Damals konzentrierte sich die Arbeit des Vereins ausschliesslich auf Olten", erklärt Fiona Gunst. "Als die Stadt Olten den Strassenstrich 2005 schloss, lancierten wir ein Pilotprojekt, um die Arbeit auf den ganzen Kanton auszudehnen." Seit 2009 arbeitet die Fachstelle innerhalb eines Leistungsauftrags mit dem Amt für soziale Sicherheit (ASO) zusammen. Auf einer Kantonskarte zeigen Muñoz und Gunst, wie sich die Sexarbeit im Kanton räumlich verteilt. Jede Stecknadel steht für einen Ort, an dem im Kanton Sexarbeit angeboten wird. Sie gruppieren sich entlang der A1, die den Kanton wie eine Hauptschlagader durchzieht. Mit den fünf Mediator*innen, welche die verschiedenen Sprachen der Sexarbeiter*innen sprechen, besucht Melanie Muñoz alle diese Orte. Pro Jahr haben sie so durchschnittlich 1'600 Kontakte mit Sexarbeiter*innen – in den Clubs, Massagesalons, aber vor allem auf dem Strassenstrich. "Im Vordergrund steht natürlich die Präventionsarbeit. Wir verteilen Kondome und Hygieneartikel, informieren und beraten." Sehr oft würden sich die Gespräche aber auch einfach um die Kindererziehung, um Alltagsprobleme und verflossene Liebschaften drehen. "Viel von unserer Arbeit besteht auch einfach aus Zuhören." Vielleicht jetzt mehr denn je. |