Mai 2024

Sanierung Stadtmist Solothurn: Probleme mit PFAS sind lösbar

  • 22.05.2024

Im Solothurner Stadtmist wurden polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) sowie schwach radioaktiv strahlendes Material nachgewiesen. Für die Bevölkerung besteht keine unmittelbare Gesundheitsgefährdung. In einem halbjährigen Testbetrieb mussten jedoch die Sortier- und Aufbereitungsverfahren angepasst werden.

Nachdem das Bundesamt für Umwelt zu Beginn des Jahres 2023 erstmals Grenzwerte für erwiesenermassen schädliche polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) kommuniziert hatte, wurden im Stadtmist neue Beprobungen des Untergrundes durchgeführt. Dabei wurden PFAS insbesondere in den jüngeren Deponiebereichen des Spitelfeldes und des Oberen Einschlags nachgewiesen.

Aufgrund der neuen Erkenntnisse müssen die Verfahren zur Aufbereitung bzw. Sortierung des Aushubmaterials angepasst werden. Ziel ist es, die PFAS-Belastungen im Feinstmaterial (dem sogenannten Filterkuchen) aufzukonzentrieren und in den verwertbaren Produkten (Kies, Sand) so weit wie möglich zu verringern. Dazu wurden zwischen Herbst 2023 und Frühling 2024 sowohl im Labor wie auch auf der Anlage umfangreiche Tests durchgeführt. Diese zeigen, dass die angestrebte Aufkonzentrierung im Filterkuchen und die Abkonzentrierung in den Produkten technisch machbar ist. Dies ist die Voraussetzung, damit die Produkte weiterhin verwertet werden können.

Radiumhaltige Abfälle erschweren den Bauablauf

Weiter musste bei den bisherigen Aushubarbeiten festgestellt werden, dass die Belastungen mit schwach radioaktivem Radium, das seinerzeit in der Uhrenindustrie verwendet wurde, viel verbreiteter und diffuser auftreten als ursprünglich angenommen. Zwar sind die Belastungen so gering, dass für die Bevölkerung auch in der unmittelbaren Umgebung keine Gesundheitsgefährdung besteht. Sämtliches ausgehobenes Material muss jedoch chargenweise auf Radioaktivität untersucht werden. Die radiumhaltigen Anteile müssen unter Begleitung des Bundesamtes für Gesundheit separat zwischengelagert, behandelt und auf geeigneten Deponien abgelagert werden. Einige stärker kontaminierte Materialien müssen aussortiert und als radioaktiver Abfall entsorgt werden.

Aufwändigere Aufbereitung und schwierigere Deponierung

Das Aufbereiten des PFAS-haltigen Materials und das Detektieren und Abtrennen der radiumhaltigen Abfälle ist aufwändig und reduziert die Kapazität der Aufbereitungsanlage. Zudem ist die Ablagerung des verbleibenden, belasteten Materials auf dafür geeigneten Deponien schwieriger. Aufgrund von heute noch bestehenden rechtlichen Unsicherheiten bezüglich PFAS-Grenzwerte sind viele Deponiebetreiber nicht oder nur zu höheren Preisen bereit, das Material anzunehmen. Nebst der allgemeinen Bauteuerung wird dies zu einer Erhöhung der Kosten für die Stadtmistsanierung führen. Die geplante Fertigstellung der Sanierung bis ins Jahr 2028 ist jedoch nach wie vor realistisch.

Weitere Informationen

stadtmist.so.ch

PFAS

Die Substanzklasse der Per- und Polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) umfasst über 4'700 synthetische Einzelverbindungen. Diese Verbindungen bestehen aus teilweise (poly-) oder komplett (per-)fluorierten Kohlenstoffketten. Diese Struktur macht PFAS chemisch, biologisch und thermisch sehr stabil. Sie werden deshalb auch als «Forever Chemicals» bezeichnet. PFAS wirken sowohl wasser- als auch fettabweisend. Aufgrund dieser zahlreichen «vorteilhaften» Eigenschaften wurden PFAS seit den 1970ern sehr vielseitig eingesetzt: In Löschschäumen oder der galvanischen Industrie, aber auch in Regenschutzbekleidung, Teflon-Bratpfannen und vielen weiteren Anwendungen. Da PFAS kaum abbaubar sind, reichern sie sich in der Umwelt und in Lebewesen an. Das ist problematisch, denn einige PFAS sind vermutlich krebserregend und könnten insbesondere schädlich für die Leber sein, die Fruchtbarkeit und die Wirkung von Impfungen beeinträchtigen. Der Mensch nimmt PFAS über Trinkwasser und Nahrung auf.

Es existieren bisher umweltrechtlich keine gesetzlichen Grenzwerte für PFAS. Das Bundesamt für Umwelt hat in einem ersten Schritt per Ende Januar 2023 Richtwerte kommuniziert. Kommen in Abfällen PFAS vor, so sind auf der Basis dieser Richtwerte beim BAFU projektspezifische Grenzwerte zu beantragen. Das wurde für den Stadtmist gemacht. Bei allen bisherigen Untersuchungen und auch in den Sanierungsverfügungen für die drei Stadtmistdeponien waren die PFAS noch kein Thema. Die zusätzlichen Spielregeln wurden erst im Januar 2023 mit dem Schreiben des Bundes relevant.

Auf Bundesebene existieren politische Vorstösse zum Thema PFAS. Die Bundesverwaltung ist beauftragt die entsprechenden Grenzwerte in den betroffenen Umweltbereichen auf Verordnungsstufe festzulegen. Dieser Prozess dürfte noch ein paar Jahre dauern.

Radium

Radium 226 ist ein natürliches radioaktives Element, das aus dem Zerfall des überall in der Erdkruste vorkommenden Uran 238 entsteht. Das 1898 von Pierre und Marie Curie entdeckte Radium fand aufgrund seiner Leuchteigenschaften rasch vielseitige Verwendung in der Uhrenindustrie und wurde zur Behandlung von Krebs, insbesondere gynäkologischen Krebsarten, eingesetzt.

Zu Beginn der 1960er-Jahre sorgten Studien zur Schädlichkeit von Radium für eine Selbstregulierung des Radiummarktes (Rückgang der Nachfrage, Einfuhrverbot in bestimmten Ländern wie den USA), was die Uhrenindustrie veranlasste, Radium 226 zu ersetzen. In der Schweiz schränkte die Verordnung vom 19. April 1963 über den Strahlenschutz die Verwendung von Radium ein. Ab 1985 wurden Sammelaktionen lanciert, um Reste von Radiumfarbe einzusammeln. Dennoch gelangten viele Farbreste und Abfälle der radiumhaltigen Produkte auf die Deponien.