KR-Newsletter 05/2025 - 23.06.2025

Steht eine Session von historischer Dimension bevor?

Die Juni-Session bietet drei Besonderheiten: Es stechen Traktanden und Geschäftsarten hervor, wie sie letztmals vor 30, 20 und 15 Jahren auf einer Tagesordnung der Session gestanden sind: Eine «Erklärung des Regierungsrats als eigenständiges Traktandum» (30 Jahre), ein «Kantonsreferendum» (circa 20 Jahre) und eine «Spezialkommission, die sich mit einer nicht ratseigenen Angelegenheit» befasst (circa 15 Jahre). Was bis zu Beginn der Juni-Session als toter Buchstabe galt, erlebt an dieser Session ein Revival.

Erklärung des Regierungsrats (30 Jahre)

Die morgige Session wird mit einer «Erklärung des Regierungsrats» eröffnet: Der Regierungsrat wird hierzu dem Parlament eine Erklärung zur Kündigung des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) abgeben. Im Anschluss findet eine öffentliche Ratsdebatte zu dieser Thematik statt. Fraktionen und Ratsmitglieder haben so die Möglichkeit für Fragen an den Regierungsrat und Meinungsäusserungen.

Bei der «Erklärung des Regierungsrats» handelt es sich um einen Beratungsgegenstand, der in § 89 des Geschäftsreglements vorgesehen ist. Voraussetzung ist ein Antrag des Regierungsrats, der vom Kantonsratspräsident gutgeheissen wird.

Wann gab es dies zum letzten Mal? Wir müssen ziemlich genau 30 Jahre zurück gehen – also in eine Zeit, als der hier schreibende Ratssekretär noch ein Kanti-Schüler war: Am Dienstag, 21. Juni 1994, gleich nach Sitzungsbeginn, eröffnete der damalige Kantonsratspräsident Alex Heim die Session mit den Worten: «Regierungsrat Peter Hänggi gibt Ihnen eine Erklärung des Regierungsrats bekannt». Abgehandelt wurde dies unter einem neuen Traktandum «Erklärung des Regierungsrates zum Rückzug der Vorlage Strukturelle Besoldungsrevision (Bereso)». Hintergrund war damals der überraschende Rückzug einer grossen Rechtsetzungsvorlage durch den Regierungsrat, an der zuvor über mehr als fünf Jahre gearbeitet wurde. Der Regierungsrat erachtete es in dieser Situation als wichtig, sich dazu gegenüber dem Parlament zu erklären. Das Parlament nahm die Gelegenheit für eine Debatte wahr.

Also auch vor 30 Jahren war der Auslöser eine wichtige Frage des Personalrechts, die zu einer «Erklärung des Regierungsrats» geführt hat.

Kantonsreferendum (circa 20 Jahre)

Weiter wird an der morgen beginnenden Juni-Session ein dringlicher Auftrag der Finanzkommission zur Ergreifung des Kantonsreferendums gegen die letzte Woche von der Bundesversammlung beschlossene Einführung der Individualbesteuerung eingereicht werden. Beim Kantonsreferendum handelt es sich um eine in der Bundesverfassung vorgesehene Möglichkeit, wonach acht Kantone innerhalb von 100 Tagen eine Volksabstimmung über eine vom Bund beschlossene Gesetzesänderung verlangen können.

Im Kanton Solothurn ist für den Beschluss, das Kantonsreferendum zu ergreifen, letztinstanzlich der Kantonsrat zuständig. Damit der Kantonsrat einen solchen Beschluss fassen kann, ist er auf die Vorarbeit der Verwaltung und des Regierungsrats angewiesen, die ein entsprechendes Sachgeschäft (inkl. Erläuterungen zu den Auswirkungen des Bundesbeschlusses) ausarbeiten. Es braucht somit als Ursprung und Auslöser einen Auftrag des Parlaments, bevor die Sache an den Regierungsrat zur vertieften Prüfung geht, bis sie wieder an den Kantonsrat zur endgültigen Beschlussfassung zurück geht.

Insoweit wird sich der Kantonsrat drei Mal innerhalb kurzer Zeit mit dem Kantonsreferendum befassen: Am 25. Juni 2025 mit der Frage der Dringlicherklärung, wofür eine 2/3-Mehrheit notwendig ist. Wird dieses Quorum erreicht, wird sich der Kantonsrat am 2. Juli 2025 mit der Frage befassen, ob der Regierungsrat dem Kantonsrat eine Vorlage zur Ergreifung des Kantonsreferendums vorlegen soll – also die Frage vertieft geprüft wird. Stimmt der Kantonsrat diesem Auftrag zu, wird er an der September-Session endgültig – und unter Zugrundelegung der vom Regierungsrat ausgearbeiteten Prüfungsergebnisse – entscheiden.

Auch hier gibt es ein Déjà-vu zu Juni-Session. Wir müssen rund 20 Jahre zurück gehen – also in eine Zeit, als der hier schreibende Ratssekretär sein Studium der Rechtswissenschaften begonnen hatte: Am 17. Juni 2003 wurde von Hans-Ruedi Wüthrich (FDP/JL, Lüterswil) eine dringliche Motion eingereicht zur Ergreifung des Kantonsreferendums gegen das Bundesgesetz über die Änderung von Erlassen im Bereich der Ehe- und Familienbesteuerung und Stempelabgaben.

Also auch vor rund 20 Jahren war der Auslöser eine Frage des Steuerrechts.

Spezialkommission in einer nicht ratseigenen Angelegenheit (circa 15 Jahre)

Durch die Kündigung des GAV wird das Parlament ein neues Personalrecht ausarbeiten. Es handelt sich um einen grösseren Themen- und Rechtsbereich. Das Parlament wird sich mit einer Vielzahl von Fragen auseinandersetzen und weitreichende Entscheidungen treffen. Aus verfahrensmässiger Sicht stellt sich damit die Frage, ob zur Erarbeitung einer solch grossen und komplexen Vorlage eine Spezialkommission eingesetzt werden soll. Die Ratsleitung wird in Kürze darüber entscheiden.

Zwar sind Spezialkommissionen durchaus auch in jüngerer Zeit vorgekommen, jedoch in Zusammenhang mit ratseigenen Angelegenheiten (Neues Ratsinformationssystems für Kantonsratsmitglieder, Wirkungsorientierte Verwaltungsführung; Weiterentwicklung des Parlamentsrechts). Seit es ständige 15er-Kommissionen gibt, gibt es nur noch selten Konstellationen, in denen für ein einzelnes Themengebiet eine adhoc-Kommission gebildet wird.

Um den letzten Fall zu finden, müssen wir rund 14 Jahre zurückgehen – also in eine Zeit, in der der hier schreibende Ratssekretär beim Bau- und Justizdepartement im Rechtspraktikum war. Zur Vorlage «Neubau Bürgerspital Solothurn (BSS)» wurde eine 21er-Spezialkommission eingesetzt.

Doch auch im Bereich des Personalrechts gab es einen bekannten Fall aus der Vergangenheit: Am 10. Mai 2000 – also wenige Tage nachdem der hier schreibende Ratssekretär 20 Jahre alt wurde – wurde eine Spezialkommission mit 16 Mitgliedern zur «Vorberatung der Revision des Staatspersonalgesetzes» eingesetzt.

Gesetz lässt Raum auch für Jahrzehnt-Ereignisse

Die Ausführungen zeigen eines: Das Kantonsratsgesetz und das Geschäftsreglement kennen also Möglichkeiten auch für Situationen, wie sie nur alle Jahrzehnte vorkommen. Bleibt also nur noch die Frage: Welche weiteren Instrumente sieht das Geschäftsreglement sonst noch vor? Und lernen wir auch diese noch an der laufenden Juni-Session kennen?

Autor: Markus Ballmer