KR-Newsletter 05/2024 - 24.06.2024

Grundlagen der Parlamentarischen Oberaufsicht

Einleitender Hinweis: Der nachfolgende Beitrag wurde in Zusammenhang mit Abklärungen zu den Vorstössen A 056/2024 «Auftrag Geschäftsprüfungskommission: Parlamentarische Aufsicht über verselbstständigte Einheiten stärken» und K 056/2024 «Kleine Anfrage Fraktion FDP.Die Liberalen: Kompetenzen und Funktionsweise der Geschäftsprüfungskommission (GPK)» – und somit vor länger Zeit – verfasst. Er steht damit nicht in einem Zusammenhang mit aktuellen Vorkommnissen, bei denen kürzlich die parlamentarische Aufsicht ins Spiel gebracht wurde. Es handelt sich um Ausführungen zur parlamentarischen Aufsicht allgemeiner Art und es wird kein Bezug genommen auf allfällige Fragestellungen zu aktuellen Fällen.

Beginn des Beitrags
Seit Anfang Jahr sind verschiedene Vorstösse zum Thema parlamentarische Oberaufsicht eingereicht worden und die Presse hat das Thema bereits aufgegriffen. Grund genug, um die Grundlagen der parlamentarischen Oberaufsicht näher darzustellen:

Dem Regierungsrat untersteht gemäss Art. 81 Abs. 1 Verfassung des Kantons Solothurn die Leitung der Verwaltung. Nach Art. 66 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Solothurn ist der Kantonsrat die oberste aufsichtsführende Behörde des Kantons. Dies bedeutet folglich, dass sowohl der Regierungsrat (als direkte Weisungs- und Aufsichtsbehörde der ihm unterstellten Amtsstellen) als auch die Verwaltung der Oberaufsicht des Kantonsrats unterstehen. In Bezug auf die Verwaltung kommen dem Kantonsrat somit zweierlei Aufsichtsaufgaben zu: Zum einen übt er die Oberaufsicht darüber aus, wie der Regierungsrat die (direkte bzw. unmittelbare) Aufsicht gegenüber der Verwaltung wahrnimmt. Mit anderen Worten handelt es sich um die «Aufsicht über die Aufsicht». Zum anderen übt der Kantonsrat auch eine direkte Oberaufsicht über die Verwaltung aus.

Die Aufsichtsbefugnis des Kantonsrats beschränkt sich aber nicht nur auf die Zentralverwaltung. Gemäss Art. 76 Abs. 1 Bst. a der Verfassung des Kantons Solothurn erstreckt sich die Aufsichtsbefugnis auch auf alle Behörden und Organe, die kantonale Aufgaben wahrnehmen. Es unterstehen folglich dem Grundsatz nach auch dezentrale Verwaltungsträger der Oberaufsicht.

Um ihre Aufgaben der parlamentarischen Oberaufsicht wahrnehmen zu können, verfügen die Ratsmitglieder über vielfältige Informationsrechte, welche in §§ 29 f. des Kantonsratsgesetzes ausgeführt sind. Damit jedoch die Vertraulichkeit von bestimmten Informationen gewährleistet wird, wurden bestimmte Aufsichtsaufgaben in Kapitel 7 des Kantonsratsgesetzes an Aufsichtskommissionen übertragen, welche gemäss § 31 Kantonsratsgesetz weitergehende Informationsrechte haben. Sie können dafür z.B. Befragungen und Besichtigungen vornehmen, Berichte und Unterlagen verlangen, Einsicht in Regierungsratsbeschlüsse ihres Sachbereichs nehmen oder Sachverständige beiziehen.

Das Gesagte bedeutet aber nicht, dass die Oberaufsicht des Parlaments keinerlei Einschränkungen unterworfen ist – wie ein Blick auf Regelungen in anderen Parlamenten und in die Rechtsliteratur zeigt: Die Bundesversammlung beispielsweise hat in Art. 26 Abs. 1 Parlamentsgesetz festgelegt, dass ihre Oberaufsicht nach den Kriterien der Rechtmässigkeit, Ordnungsmässigkeit, Zweckmässigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit ablaufen soll. Es ist somit klar, dass mit der Aufsichtstätigkeit gewisse Ziele verfolgt werden sollen – und beispielsweise nicht etwa Untersuchungen «aus blosser Neugier» durchgeführt werden. Ziel der parlamentarischen Aufsicht ist, das staatliche Verhalten durchschaubar und verständlich zu machen. Dies ist in einem demokratischen Rechtsstaat eine wichtige Aufgabe, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung zu erhalten oder wieder herzustellen. Aufsicht im so verstandenen Sinn bedeutet aber nicht, dass ausschiesslich kritisiert werden muss. Im Gegenteil darf auch gelobt werden. Im Idealfall wird aus den Inputs der parlamentarischen Aufsicht ein gegenseitiger Lernprozess zwischen den an der Staatsleitung beteiligten Organen in Gang gesetzt.

Es gibt zudem auch explizite Einschränkungen für die Oberaufsicht. So hat diese grundsätzlich nachträglich oder, je nach Lehrmeinung, begleitend ausgestaltet zu sein. Nicht zulässig erscheint eine begleitende Oberaufsicht im Justizwesen. Es soll so verhindert werden, dass Gerichtsurteile laufend kontrolliert werden. Auch hängige Regierungs- oder Verwaltungsgeschäfte sollten nach der Lehrmeinung nicht begleitend beaufsichtigt werden, da dies nicht dem Verständnis des Verfassungsgebers und der Idee der parlamentarischen Oberaufsicht entsprechen würde. Eine begleitende Ausgestaltung hingegen bietet sich z.B. bei Projekten mit hohen finanziellen Auswirkungen oder langer Dauer an. Die Oberaufsicht kann so noch während des Projekts wichtige Impulse setzen.

Grundsätzlich unterliegt, wie oben erwähnt, das gesamte staatliche Handeln der Oberaufsicht des Parlaments. Das Motiv für eine Dezentralisierung der Verwaltung kann aber sein, dass dem Träger eine gewisse Autonomie eingeräumt wird. In diesem Fall muss sich die Oberaufsicht auch in Zurückhaltung üben. Dies ist in diesen Fällen im Spezialgesetz geregelt. Im Kanton Solothurn ist z.B. die Pensionskasse gemäss § 46 Abs. 1bis Kantonsratsgesetz ausdrücklich der Aufsicht der Geschäftsprüfungskommission entzogen.

In anderen Kantonen wie auch im Bund stellte sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage, wie die Oberaufsicht über dezentralisierte Verwaltungsträger auszugestalten ist und welche Rechte den Aufsichtsorganen konkret zustehen. Es empfiehlt sich diesbezüglich eine klare spezialgesetzliche Regelung, da andernfalls zur Klärung von verfahrensmässigen Fragen Rechtsgutachten erstellt werden müssen. Üblicherweise befasst sich die Aufsichtstätigkeit damit, zu prüfen, ob die Exekutive die Eignerinteressen gegenüber den verselbstständigten Einheiten angemessen vertritt und ob konkrete und stichhaltige Hinweise auf schwerwiegende Mängel vorhanden sind, die das ordnungsgemässe Funktionieren einer Einheit gefährden könnte.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dem Parlament für den wichtigen Job der Oberaufsicht viele Werkzeuge in die Hand gelegt worden sind. Die besondere Hausforderung besteht aber oft nicht darin, dass man an die Informationen gelangt, sondern dass man am richtigen Ort mit den richtigen Mitteln versucht, an die wichtigen Informationen zu gelangen.

Quellen

  • Kantonsverfassung: § 66, § 76 und § 81.
  • Kantonsratsgesetz: §§ 29 ff. und §§ 46 ff.
  • Bundesgesetz über die Bundesversammlung: Art. 26.
  • Graf/Theler/von Wyss-Sägesser/-in, Komm. zum ParlG, Art. 26.
  • Rechtsgutachten FINMA vom 28.08.2013
  • Vademecum der Geschäftsprüfungskommission der eidgenössischen Räte (Ausgabe Dezember 2023)

Autoren: Timo Berger / Markus Ballmer