Ein aussergewöhnlicher Fund kam 2021 auf der Martinsflue bei Rüttenen zum Vorschein: Was auf den ersten Blick aussah wie das Fragment einer Glocke, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als Teil einer neuzeitlichen Kanone. Bei der Zahl «16» handelt es sich um die ersten Ziffern des Herstellungsjahres: Die Kanone wurde irgendwann zwischen 1600 und 1699 gegossen.
Tiefe Risse und scharfe, nach aussen gebogene Bruchkanten deuten darauf hin, dass die Kanone explodiert ist. Wahrscheinlich geschah dies bei einem Probeschiessen in der Übungsschanze der Solothurner Artillerie, die 500 Meter vom Fundort entfernt im sogenannten Franzoseneinschlag liegt. Wann genau dies geschah, lässt sich nicht sagen.
Erdwälle im Wald
Im bewaldeten Gelände ist sie noch schwach zu erkennen, die Wallanlage im «Franzoseneinschlag» an der Grenze von Rüttenen und Langendorf: Die Erdwälle bilden ein Rechteck mit einem Aussenmass von 38 auf 30 Metern. Bei der Anlage handelt es sich nicht um ein Militärlager und schon gar nicht um eine Richtstätte aus der Zeit des Franzoseneinfalls von 1798, wie es die landläufige Meinung ist. In der Umgebung von Rüttenen kam es nämlich zu keinen Kampfhandlungen, als die Franzosen Solothurn einnahmen.
Vielmehr wurde die Schanze als Übungsplatz für die Solothurner Artillerie erbaut. Auf Plänen von 1820 und 1838 ist das Bauwerk mit «Batterie» oder «Poligon» angeschrieben. Damit bezeichnete man in der Artillerie Anlagen, in denen Geschütze in Stellung gebracht wurden. Geschossen wurde in nordwestliche Richtung in den 600 Meter entfernten Hang des Heissackers an der Grenze von Langendorf und Oberdorf. Die Solothurner Artillerie übte in der Schanze bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals hiess der Wald bei der Anlage noch Brüggmoos Wald.
Längst vergessener Soldatenfriedhof
Der Flurname «Franzoseneinschlag» taucht erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Damals war die französische Besatzung von 1798 bis 1803 längst Vergangenheit. Doch was hat es mit dem Namen Franzoseneinschlag auf sich? Möglicherweise erinnert er an einen Friedhof aus der Besatzungszeit: 1799/1800 betrieb die französische Armee im Kloster Namen Jesu ein Lazarett. Für den Militärfriedhof wurde ein Platz nördlich der Steingruben gewählt. Dieses Waldstück hiess zu Beginn des 19. Jahrhunderts «Neu Einschlag». Damit ist ein aufgeforstetes Waldstück gemeint, das zum Schutze der Jungpflanzen eingezäunt oder eingeschlagen wurde. In Erinnerung an den ehemaligen Militärfriedhof wurde aus dem «Neu Einschlag» dann wohl «Franzoseneinschlag».
Die Soldatengräber im Wald boten Stoff für Geschichten. So wurde auch die Wallanlage mit dem Einmarsch und der Besatzung durch die Franzosen in Verbindung gebracht – das Waldstück bei der Schanze wurde ebenfalls zum «Franzoseneinschlag». Aktuell bleibt der Standort des Militärfriedhofs im Waldstück nördlich der Steingruben unbekannt. Gewiss ist, dass der Soldatenfriedhof nichts zu tun hat mit der Übungsschanze.
Weitere Informationen
Sonderausstellung im Pächterhaus Museum Blumenstein, Solothurn:
«Abgefeuert und explodiert – ein neuzeitliches Kanonenfragment aus Rütttenen»
Eröffnung: Sonntag, 26. Mai 2024, 10 bis 17 Uhr, Dauer voraussichtlich bis Mitte Mai 2026
museumpaechterhaus.ch