KR-Newsletter 02/2024 - 18.03.2024

Verfahren der Verfassungsänderung

Die aktuelle Solothurner Verfassung datiert vom 8. Juni 1986. Bereits aus dem Bundesrecht ergibt sich die Vorgabe, dass die Verfassung jederzeit revidiert werden kann. In der Solothurner Kantonsverfassung wird dies noch einmal ausdrücklich in Art. 137 Abs. 1 erwähnt, wobei die Möglichkeiten einer Total- oder einer Teilrevision bestehen. Die Teilrevision – bei der Mehrheit der Änderungen handelt es sich um eine Teilrevision, so auch bei den Geschäften dieser Session – kann vom Volk oder von der Verwaltung angeregt werden. In jedem Fall aber entscheidet das Volk abschliessend über eine Revision. Diese unterliegt dem obligatorischen Referendum. Der Bund muss jede Änderung der kantonalen Verfassung noch genehmigen, andernfalls kann diese nicht inkrafttreten. Die Teilrevision darf dem Bundesrecht nicht widersprechen. Von der Teilrevision wurde in den letzten Jahren rege Gebrauch gemacht. Seit dem Inkrafttreten der Verfassung 1988 zählen wir mehr als 20 Teilrevisionen. Die letzte datiert vom 1. August 2022.

Eine Totalrevision kann mittels Volksinitiative oder Beschluss des Kantonsrats gefordert werden. Danach entscheidet das Volk, ob eine Totalrevision eingeleitet werden soll. Wenn sich das Volk für eine Totalrevision ausspricht, wird eine neue Kantonsverfassung erarbeitet. Das Volk entscheidet in einer Abstimmung über das Inkrafttreten der neuen Verfassung. Danach muss wiederum der Bund die Revision genehmigen. Die Seltenheit von Totalrevisionen erklärt sich dadurch, dass sich im Kanton Solothurn, wie bei den anderen Kantonen auch, nach dem Ausbau der demokratischen Rechte im 19. Jahrhundert ein «gemeineidgenössischer Standard» in Bezug auf die jeweiligen Verfassungen durchgesetzt hat. Erst ab den 1960er-Jahren begannen einzelne Kantone ihre Verfassungen zu revidieren. Dabei wurden unter anderem in den Bereichen der Individualisierung, Sozialziele aber auch der Verfassungsgerichtsbarkeit neue Akzente gesetzt. Die Welle erfasste in den 1980er-Jahren auch den Kanton Solothurn, hat aber bis heute noch nicht in allen Kantonen zu einer neuen Verfassung geführt. Die jüngste Abstimmung zur Totalrevision im Kanton Wallis zeigt auch, dass - trotz des eigentlichen Konsenses für eine neue Verfassung – eine Totalrevision scheitern kann, wenn es um Änderungen geht, die eine Mehrheit der Bevölkerung nicht mitträgt.

Art. 138 Abs. 1 der Solothurner Kantonsverfassung sieht ein spezielles Verfahren für die Behandlung der Verfassungsänderung im Kantonsrat vor. Es finden dabei zwei Lesungen im Kantonsrat statt, welche zudem in einem Abstand von mindestens einem Monat zu erfolgen haben. Da die Hürde für eine Verfassungsänderung mit dem obligatorischen Verfassungsreferendum hoch ist, wollen Änderungen wohl überlegt sein. Auf Bundesebene behandelt das Parlament mit dem System aus National- und Ständerat eine Verfassungsänderung ohnehin mehrmals. Die zweite Lesung bringt dabei für ein Einkammerparlament, wie es der Kanton Solothurn kennt, einige Vorteile. Zum einen kann die Kohärenz des Textes verbessert werden, zum anderen können komplexe Vorlagen auch besser behandelt werden. Nicht zuletzt bietet dieses Verfahren, die Möglichkeit grundlegende Entscheide reflektiert und mit genügend Bedenkzeit treffen zu können. Ist die Bereinigung nicht erfolgreich, so ist die Fassung der zweiten Lesung massgebend.

Dass es zu Differenzen zwischen der ersten und zweiten Lesung kommt, ist - soweit ersichtlich - selten. Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit ist die Vorlage «RG 060/2020: Mehr Flexibilität für Gemeinden beim Stimm- und Wahlrechtsalter».  So stimmte der Kantonsrat der Vorlage nach der ersten Lesung mit 48 zu 47 Stimmen bei keiner Enthaltung knapp zu. In der zweiten Lesung haben sich die die Sprecherinnen und Sprecher mit der Begründung kurzgehalten, dass die Argumente bekannt seien. Das Abstimmungsergebnis sah jedoch anders aus. Die Vorlage wurde wiederum knapp mit 45 zu 48 Stimmen bei keiner Enthaltung abgelehnt. Daraus wird ersichtlich, dass eine zweite Lesung durchaus eine Funktion im Entscheidfindungsprozess innehat. Durch den ersten Beschluss kann sich eine neue Dynamik entwickeln, welche zum Umdenken führen kann. So hat sich schliesslich in der Volksabstimmung auch die Bevölkerung gegen diese Verfassungsänderung ausgesprochen. Weiter wird auch die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass eine Verfassungsänderung durch ein Zufallsmehr beschlossen wird, da sich knappe Entscheide, wie gesehen, noch ändern können.

Mehr zu den Geschäften der März-Session, die eine Verfassungsänderung vorsehen, finden sie in diesem Newsletterbeitrag.

Quellen

  • Artikel 51 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
  • Artikel 35 Abs. 1 Bst. A Kantonsverfassung
  • Artikel 137 Kantonsverfassung
  • Artikel 138 Kantonsverfassung
  • Tschannen Pierre: Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bern 2021, Rz. 675 ff.
  • Hangartner Yvo, Kley Andreas, Braun Binder Nadja, Glaser Andreas: Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2023, Rz. 1344.
  • Auer Andreas: Staatsrecht der schweizerischen Kantone, Bern 2016, Rz. 558 ff.

Autor: Timo Berger