Oensingen/Gärtnerei Jurt

Ein römischer Gutshof und frühmittelalterliche Gräber im Ortskern von Oensingen

Der römische Gutshof im Ortskern von Oensingen ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Er wurde bisher jedoch kaum archäologisch untersucht. Im Rahmen diverser Bauprojekte führte die Kantonsarchäologie in den Jahren 2016 und 2017 Ausgrabungen bei der ehemaligen Gärtnerei Jurt durch. Dies erlaubte erstmals einen Teil des gut erhaltenen, mehrphasigen Herrenhauses - dem Wohnhaus des Besitzers oder Verwalters des römischen Gutshofes - zu untersuchen.

Im 1. Jahrhundert n.Chr. errichteten die Römer einen Fachwerkbau, dessen Räume mit Mörtelböden ausgestattet waren. Einer dieser Mörtelböden war sogar mit einem seltenen Muster aus Gitternetzlinien verziert (opus signinum). Im 2./3. Jahrhundert n.Chr. entstand an derselben Stelle ein mehrgeschossiger, 60 x 40 m grosser Steinbau mit U-förmigem Grundriss. Der Haupttrakt und die Seitenflügel bildeten einen Vorhof, der von einer Portikus gesäumt war. An der Nordwestecke des Gebäudes lag ein Raum, der mit einer Heissluft-Kanalheizung versehen war. Im Ostflügel befanden sich die mit Mörtelböden ausgestatteten Wohn- und Repräsentationsräume. Der westliche Seitenflügel und Teile des Haupttraktes sind weiterhin im Boden verborgen. Das Herrenhaus fiel im ausgehenden 3. Jahrhundert n.Chr. einem Brand zum Opfer.

Im 7. Jahrhundert n.Chr. entstand im Hof der römischen Ruine ein Friedhof. Die 22 untersuchten Gräber enthielten zahlreiche Beigaben: Kurzschwerter, Messer sowie kleine und grosse Gürtelschnallen aus Eisen, einen Kamm, einen Fingerring und Ohrringe aus Bronze und Halsketten aus Glasperlen. Die Beigaben zeigen, dass Oensingen im Frühmittelalter in einer Kontaktzone zweier Kulturkreise lag: Während die grossen Gürtelschnallen ein typischer Bestandteil der romanischen Frauentracht im Westen darstellt, gehören die Kurzschwerter aus den Männergräbern eher zum östlichen Kulturkreis der Alemannen.

  1. Luftbild der Ausgrabung im Jahr 2017. Im Hintergrund das Schloss Neu-Bechburg.
  2. Luftbild der Ausgrabung im Jahr 2017. Blick gegen Südwesten.
  3. Gesamtplan des Herrenhauses. 
Grau 1. Jahrhundert n.Chr., schwarz 2./3. Jahrhundert n.Chr.
  4. Mörtelboden mit Gitternetzlinien-Muster (opus signinum) im Fachwerkbau des 1. Jahrhunderts n.Chr.
  5. Steinbau des 2./3. Jahrhundert n.Chr.: Im Vordergrund der kleine Heizraum mit Einfeuerungskanal. Im Hintergrund der beheizte Raum mit noch intaktem Mörtelboden.
  6. Heissluft-Kanalsystem nach Abbau des Mörtelbodens und Wegnahme der Abdeckplatten aus Dachziegeln.
  7. Römische Sense im Haupttrakt des Steinbaus des 2./3. Jahrhundert n.Chr.
  8. Ebenerdige Herdstelle in einer Küche im Osten des Herrenhauses des 2./3. Jahrhundert n.Chr.
  9. Gräber aus dem 7. Jahrhundert im Vorhof des römischen Herrenhauses.
  10. Frühmittelalterliches Grab eines Mannes mit Kurzschwert beim linken Oberschenkel.
  11. Reste einer Schwertscheide aus Leder mit Verzierung aus Bronzenieten.
  12. Frühmittelalterliches Grab einer Frau mit Halskette aus Bernstein- und Glasperlen sowie grosser Gürtelschnalle aus Eisen auf dem Becken.
  13. Das Röntgenbild einer grossen Gürtelschnalle in romanischer Tradition zeigt ein Muster einer Tauschierung aus Silber.
  14. Besucher besichtigen die frühmittelalterlichen Gräber am Tag der offenen Ausgrabung.
  15. Während der Ausgrabung gab es zahlreiche Führungen für Schulklassen.
  16. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn auf Grabungsbesuch.